Kommunalwahl und campact! - ein Briefkorrespondenz von Dr. Ulli Käufl mit campact!

24. März 2020

Liebe Aktiven von campact! bitte weiterleiten an den vertretungsberechtigten Vorstand: Christoph Bautz Daphne Heinsen Dr. Felix Kolb

leider muss ich Euch hier und heute kritisieren. Ich habe über 20 Jahre in meinem Stadtviertel in München ein kommunalpolitisches Mandat für die SPD ausgeübt, diesmal aber nicht mehr kandidiert, es gibt ja genug junge Leute in der SPD.

Für Artenschutz habe ich mich schon in den 70er Jahren interessiert und engagiert. Mein Vater hatte damals das Verschwinden einheimischer Orchideenarten in Bayern kartiert. Ich habe das Artensterben sozusagen mit der Vater-Milch aufgenommen. Ich habe wahrscheinlich die erste Radldemo der Republik in 1977 organisiert, vor Wackersdorf 'gekämpft' usw usf. Natürlich weiß ich dass die SPD nicht die perfekte Partei ist: auf vielen Politikfeldern, nicht nur der Umweltpolitik ... aber die perfekte Partei gibt es nicht.

Und ich kann Euch aus leidvoller Erfahrung in München sagen, dass die Grünen das erst recht auch nicht sind: weder inhaltlich, soll heißen was sie dann wirklich machen, und auch nicht personell. Immerhin hat die ÖDP vor 6 Jahren in München sich geweigert mit Rot-Grün eine Koalition zu schließen. Inhaltlich konnte ich das nachvollziehen, politisch eher nicht. Auf jeden Fall ging es damals schon um das Kohlekraftwerk der Stadtwerke und die Münchner Grünen haben die ÖDP da seinerzeit im (sauren) Regen stehen lassen ....

In den letzten Wochen haben wir Sozialdemokraten hart gekämpft und einen wirklichen guten Wahlkampf gemacht. Die Grünen dagegen waren kaum präsent. Auf Nachfrage, man kennt sich ja, kam die bräsige Antwort, den Wahlkampf macht Greta, Fridays for Future und campact. So und nun habt Ihr zusammen mit dem Zeitgeist geholfen, dass die Grünen die stärkste Fraktion im Stadtrat geworden sind. Und wer garantiert nun, dass die Münchner Grünen nicht wieder die städtischen Krankenhäuser an die Wand fahren, die freie Künstlerszene vernachlässigen oder im Kretschmann-Stil auf Schmusekurs mit BMW gehen oder wie in Brandenburg mal schnell für eine Industrieansiedlung den Artenschutz pausieren ... vielleicht am Ende dann doch die gute alte SPD.

Nachdem die Stichwahl in München nun zwischen SPD und CSU ohne Beteiligung der Grünen läuft, habt Ihr wohl auch das Interesse verloren ... schade, denn mit einer CSU-Bürgermeisterin ... naja mindestens 6 Jahre 'slow motion' in der Umweltpolitik.

Ich werde auch zukünftig für einzelne ausgewählte campact! Projekte spenden, aber ich bin ehrlich froh, dass ich keine unspezifizierten regelmäßigen Zahlungen geleistet habe, weil so viel Vertrauen hat campact! dann doch nicht verdient. Für mich hat Eure Glaubwürdigkeit als seriöser Partner doch sehr gelitten. Und glaubt mir ich bin bei weitem nicht der einzige SPDler in München der sich hier sehr über Euch geärgert hat!

Grüße

Ulli Käufl

Nun die Antwort von Campact! e.V. ...

Lieber Ulli Käufl,

vielen Dank für Ihre Email und die sehr ausgewogene Kritik an unserer Kampagne zur Kommunalwahl. Wir freuen uns, dass sie trotz Ihrer Kritik weiterhin für ausgewählte Projekt von Campact spenden wollen.

Lassen Sie uns vorneweg sagen, dass wir bei Campact politisches Engagement, gerade auch von kommunalen Mandatsträger*innen, sehr wertschätzen. Ohne die vielen Menschen wie Sie, die sich vor Ort politisch engagieren, würde unsere Demokratie nicht funktionieren.

Bei Kommunalwahlen steht die lokale Politik im Vordergrund - aber Wähler*innen schauen zu Recht immer auch darauf, wie die Parteien insgesamt aufgestellt sind. Wir haben aus diesem Grund für unsere Türhänger die Klimapläne der Parteien auf kommunaler, Landes- und Bundesebene untersucht - nach für alle einheitlichen Kriterien. Sie finden das Ergebnis dieser Recherche hier:

https://www.campact.de/content/uploads/2020/03/parteibewertungen-kommunalwahl-muenchen.pdf

Sie können in dem Dokument erkennen, dass die SPD beim Thema Klima vor allem im Bund schlecht abschneidet - während die Klimapläne für München und Bayern recht gut sind. Die Klimapläne von Grünen - und im übrigen auch Linken - sind aber noch ambitionierter - wobei der Unterschied in der Bundespolitik am stärksten ist.

Wir hoffen, dass Sie diesen Erläuterungen unsere Kampagne zur bayerischen Kommunalwahl besser nachvollziehen können. Und als Ansporn verstehen, sich weiterhin in der SPD für mehr Klimaschutz zu engagieren.

Mit herzlichen Grüßen Campact Team

Unser Dr. Ulli Käufl zerlegt in einem zweitem Brief an Campact! e.V. den Bewertungskatalog:

Liebe Aktiven von Campact!

also danke für die Antwort, die mich aber, um es vorwegzuschicken, nicht wirklich überzeugt.

Danke auch für den Bewertungskatalog. Den werd' ich jetzt allerdings mal Stück für Stück zerlegen:

Eine Kommunalwahl, besonders in Bayern, ist eine Persönlichkeitswahl. Deswegen erscheint die pauschalisierte Ablehnung einer Liste, und somit geschlossen aller Personen auf dieser Liste, unangemessen. In unserem Viertel ist zum Beispiel der vehementeste Baumschützer ein Parteiloser der auf der CSU Liste kandidiert!

Genauso erscheint die Gewichtung der Bundespolitik mit 44% für eine Kommunalwahl fragwürdig. Beispielsweise wenn ich in Tübingen leben und normalerweise Grün wählen würde, so würde ich trotzdem auf keinen Fall Herrn Palmer als meinen Bürgermeister wählen. Genauso nehme ich mir natürlich auch die Freiheit einzelne Bewerber meiner eigenen Partei vom Stimmzettel zu streichen und andere mehr zu gewichten.

Einer der wichtigsten Aspekte für Klimapolitik in Kommunalen Bereich ist das Stadtklima, wenn wir Hitzetote oder exorbitante Energieverschwendung mit Klimaanlagen vermeiden wollen. Das habt Ihr nicht auf dem RADAR gehabt .... Genauso wenig wurde die energetische Sanierung von Gebäuden (Heizen aber auch Kühlen) thematisiert. Wie Euch bekannt sein dürfte ist dies aber ein Punkt wo Deutschland ganz schwer nachholen muss wenn wir klimaneutral werden wollen.

ÖPNV, naja die Grünen knicken gerne ein, wenn Bürgerproteste gegen konkrete Vorhaben kommen. Hier in München z.B. beim Straßenbahnausbau. Auf den U-Bahn Zug sind sie auch sehr verspätet aufgesprungen. Die 2. S-Bahn Stammstrecke wurde auch bis zuletzt bekämpft. Einen kostenfreien ÖPNV zu fordern ist unsinnig, wenn man in den Hauptverkehrszeiten kaum einen Stehplatz bekommt. Bei manchen Bahnhöfen muss man froh sein beim Umsteigen nicht wegen der Menschenmassen im Gleisbett zu landen. Glaubt denn jemand im Ernst, Busse und Bahnen fahren da so halbleer durch die Gegend weil die Leute auf das 365-Euro Ticket oder einen Freifahrtschein warten?!?! Kostenfreier ÖPNV macht ohne einen extremen Ausbau der Kapazitäten keinerlei Sinn. BMW z.B. behauptet, und ich fürchte da haben sie Recht, dass der geplante Ausbau des ÖPNV im Großraum München im günstigsten Fall gerade ausreicht um mit dem Zuzug zur Stadt Schritt zu halten. Das heißt, kostenfreier ÖPNV mag aus sozialpolitischen und anderen Gründen wünschenswert sein, löst aber nicht das Verkehrsproblem.

Ausbau der Erneuerbaren Energien, Euer Punkt (4). Dass die SPD hier niedergemacht wird ist nicht nachvollziehbar. Dass die SPD hier einen Punktabzug bekommt weil sie 2035 als Zeithorizont nennt, und die Grünen 2030, naja das kann ja wohl nicht Euer Ernst sein. Das entscheidende ist hier in Bayern der Kampf gegen die 10H Regel. Und da tun sich die Grünen leicht, weil sie in der Fläche nicht präsent sind ....

Ja und nochmals zur Bundespolitik, hier die Bayern-SPD oder die Münchner SPD abzuwatschen akzeptiere ich nicht. Glaubt denn jemand wenn Frau Habenschaden nun OB geworden wäre, dass dann plötzlich auf Bundesebene eine neue Politik entstehen würde ... Ich wage zu behaupten das geschähe noch nicht mal mit Grüner Regierungsbeteiligung. Und ehrlicherweise müssen sich Bundes- Landes- und Münchner Grünen halt auch die Kretschmann'sche "Realpolitik" vorhalten lassen, wenn es um Glaubwürdigkeit geht.

Die SPD kämpft auf allen Ebenen für eine Rückkehr zur kommunalen Daseinsvorsorge. Das ist Grundvorausetzung für eine nachhaltige Kommunalpolitik. Fehlt leider völlig in Eurem Katalog.

Es gibt aber in einer Kommune auch unglaublich viele andere wichtige Dinge: Flüchtlingspolitik, Integration der Migranten, sozialer Ausgleich und Frieden insgesamt usw usf. Bei allem Verständnis für die Bedeutung der ökologischen Nachhaltigkeit in der Politik, Parteien nur wegen eines Themas abzuwatschen ist unseriös. In Konsequenz, ich halte diesen "Bewertungskatalog" für oberflächlich und tendenziös. Obendrein geht es ja in der Klimapolitik nur weiter wenn wir Herzen gewinnen und echte Mehrheiten schaffen. In München ist meine SPD glücklicherweise unseren Hauptbremser im Stadtrat losgeworden, weil der zur CSU gewechselt ist. Aber wisst Ihr eigentlich bei campact! dass in der Kommunalpolitik ein Konsensprinzip besteht und man versucht ohne Fraktionszwang über Parteigrenzen hinweg sachbezogen fast-einstimmige Voten herbeizuführen? Das heißt, man muss in den Kommunalparlamenten, genauso wie bei den Bürgern, Herzen gewinnen. Das schafft man nicht mit Pauschalurteilen! Letzteres so ein kleiner Tip für eine Kampagnenorganisation, wenn sie ihre Blase verlassen möchte ...

Ja und abschließend zum Stil Eurer Antwort. Erinnert mich an die Beurteilung in einem bayerischen Schulzeugnis: Der Schüler hat sich ordentlich betragen, hat es aber nicht kapiert ...

Ergebnis, ich empfehle meinen Freunden und Bekannten zur Förderung Organisationen wie Digital Courage, Ausgestrahlt oder das Münchner Umweltinstitut. Capact! war einmal

Gruß

Ulli Käufl

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